Meinung/Archiv

Teppich am Telefon

von Johannes Breckner

Man will ja um Himmelswillen nicht gegen den Fortschritt sein. Hätten sich immer die Skeptiker durchgesetzt, gäbe es keine Eisenbahn und keinen Kunstdünger und keine Telefone für die Hosentasche. Aber hin und wieder darf doch ganz unschuldig gefragt werden, ob denn all das, was technisch möglich ist, auch als erwünscht oder gar notwendig betrachtet werden kann.

Neuerdings bekommen Gegenstände immer häufiger intelligente Eigenschaften eingebaut. Der intelligente Kühlschrank ruft beim Kaufmann an, wenn die Milch zur Neige geht. Aber welcher Kaufmann bringt die Milch noch, wenn er angerufen wird? Der intelligente Teppich merkt, wenn sein Besitzer häufiger als sonst zum intelligenten Kühlschrank geht und vom intelligenten Teller viel zu fette Dinge verspeist. Der Teppich berät sich kurz mit der intelligenten Matratze, die schon länger unruhigen Schlaf registriert. Dann klingelt beim Arzt des Teppichbesitzers das Telefon, der Teppich ist dran und will einen Termin vereinbaren, nicht für sich sondern für den infarktgefährdeten Fettesser.

   Jetzt erfreuen Forscher aus Massachusetts die Welt mit der Erfindung des intelligenten Kochlöffels. Während man umrührt misst er Salzgehalt, Temperatur, Säuregehalt und Konsistenz der Suppe. Das Ergebnis wird zum Computer übertragen, per Funk versteht sich, sonst würde sich der Koch ja im Kabel verheddern. Und der Computer rechnet aus ob es ihm schmecken würde, wenn er ein Mensch wäre. Dann ruft der Computer "mehr Salz" oder "noch einen Schuss Wein, aber vom guten!", und alles gelingt. Die Wissenschaftler schwärmen: "Es ist fast so, als würde Mutter über die Schulter schauen und gute Ratschläge geben!" Aber wer will sich schon von seiner Mutter reinreden lassen, wenn er kocht?  Wahrscheinlich kann man auf dem intelligenten Kochlöffel auch Fußballspiele anschauen, wenn erst die Soße abgetropft ist.

   Der Mensch traut seiner eigenen Intelligenz nicht, deshalb überträgt er sie auf die Welt der Dinge. Außerdem glaubt er, dass man alles messen kann. Das mag ja bei Salz und Sahne noch angehen.  Inzwischen gibt es aber auch einen Quotienten für das Glück der Männer. Das jedenfalls behauptet die Zeitschrift "Men`s Health". Unter anderem werden Herzschlag, Atmung, Hirn- und Muskelaktivitäten gemessen, um das individuelle Glück in Zahlen zu fassen. Aber lässt sich Glück auf diese Weise wirklich deuten? Der eine empfindet Glück, wenn er still und friedlich in der Sonne sitzt, der andere braucht Remmidemmi, um sich glücklich zu fühlen, und es mag Menschen geben, bei denen löst der Geschmack der Sauvignon-Rebe Glücksgefühle aus, vor allem dann, wenn sie in den Colli Orientali angebaut ist. Darüber schweigt Men`s Health.

   Das Ergebnis der Untersuchung: Der glücklichste Mann lebt in München, der unglücklichste in Halle an der Saale und der Wiesbadener ist glücklicher als der Mainzer. Man kann es auch so sehen: Je teurer der Wohnraum, desto glücklicher der Mensch.

Macht Bezahlen froh? Man muss die Untersuchung wohl mit Vorsicht genießen. Vielleicht hat nicht ein Redakteur diesen Artikel hier geschrieben, sondern sein intelligenter Teppich.

Quelle: "Darmstädter-Echo/Feuilleton" vom 22.04.2006

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