Meinung/Archiv

Erfolgsbilanz

von Stefan Benz

Dieses Land ist verliebt in den Misserfolg. Wir Deutschen lassen uns ein Leistungsbilanzdefizit einreden und reagieren lustvoll panisch. Opel verlegt Teile seiner Produktion nach Polen, die Arbeitgeber drängen zurück zur 40-Stunden-Woche, der Gewerkschaftsbund feuert Frank Castorf bei den Recklinghausener Festspielen und Rudi Völler tritt zurück. Alles nur, weil die Nationalelf in Portugal nicht mehr mitspielt und die ganze Nation sich nun einbildet, nur noch europäisches Mittelmaß zu sein. Dabei liegt Deutschlands Krise doch bestenfalls darin, dass in diesem Land keiner mehr dazu im Stande ist, eine Erfolgsgeschichte zu lesen und zu verstehen.Schließlich hat unser Team das Turnier beendet, ohne das es einer wirklich großen Mannschaft gelungen wäre, uns zu schlagen. Italien aber ist seine Favoritenrolle los und Frankreich seinen Titel. Die Spanier haben wacker ihr Trauma als ewige Verlierer verteidigt und die Engländer ihren Elfmeter-Fluch gepflegt. Und was war mit den viel bewunderten Brasilianern? Lächerlich: Haben nicht mal die Qualifikation zur EM geschafft. Deutschland aber ist schon heute für die nächsten Großtitelkämpfe qualifiziert und bis dahin noch immer Vizeweltmeister. Das kann sich doch sehen lassen. Wir müssen nur richtig hinschauen.

Quelle: "Darmstädter-Echo" vom 28.06.2004

schließen